Die Klima-Aktivistengruppe ‚Letzte Generation‘ hat sich umbenannt. Aus der ‚Letzten‘ wurde die ‚Neue Generation‘. Was nicht mehr so apokalyptisch klingt, soll zugleich dazu einladen, jenseits alter politischen Rituale neue Wege zu gehen, vom ‚Dagegen‘ zum ‚Dafür‘ zu kommen und die demokratische Teilhabe an der Gestaltung der Zukunft mit ’Bürgerräten‘ neu zu erfinden. Die ‚Klimakleber‘ der vergangenen Jahre hat der Rechtsstaat mittlerweile zum Großteil eingesperrt.
Einer von ihnen, Karl Braig, der seit knapp drei Monaten in der JVA Kempten eine deftige Strafe für seine Straßenblockaden im Jahr 2022 absitzt, hat sich an dieser Transformation des Protestes inhaltlich nicht beteiligen können. Hinter Gittern ist sein lebenslanger Aktivismus auf Pausentaste. Doch der 69jährige freut sich über die Halbzeit der fünfmonatigen Haftstrafe, die im Knastjargon ‚Bergfest‘ heißt und blickt zurück- und voraus. Geseko v. Lüpke führte mit ihm ‚im Bau‘ ein halliges Gespräch über Widerstand und Identität:
„Gewaltfreier Widerstand ist für mich eine Lebensform“
Klimaaktivist Karl Braig – Halbzeit im Knast
Deutschland hat gewählt. Wie fühlt es sich jetzt an, seit nunmehr drei Monaten von hinter Gittern aus zu beobachten, wie sich draußen die Welt verändert?
Nach meiner Wahrnehmung brechen gerade sehr viele Sachen auseinander auf der ganzen Welt. Angefangen von der Situation in den USA, dann die Umbrüche hier in Europa, in vielen Ländern und jetzt auch die Wahl hier in Deutschland, was sich in die falsche Richtung entwickelt. Nicht in Richtung von mehr Partizipation von Menschen, die sich besser beteiligen können an der Gesellschaft, an Entscheidungen und Entwicklung hin zu einer lebensbejahenden Welt
Sondern eher hin zu einer sich zerstörenden Welt , Wo Geld haben und Macht haben das Leitbild des Alltags bestimmt. Und das ist eine Entwicklung, die mir sehr große Sorgen macht.
Jetzt hat ja die Klimakatastrophe beim Wahlkampf eine ganz geringe Rolle gespielt. Sehen sie das als ein Scheitern der Klimabewegung oder vielleicht sogar als ein Scheitern ihrer Aktion in der ‚Letzten Generation‘, die sie hier ins Gefängnis gebracht haben?
Die Realität ist immer noch so, dass der Klimanotstand immer größer wird, Trotz all dem Wissen auch der Lösung des Problems. Es ist die Frage, ob wir das erkennen als Notstand und ob wir dann daraus etwas verändern wollen. Aktuell ist es so, dass wir das Thema Klima aufgrund von anderen Themen weit wegschieben, ignorieren, verdrängen und ein Stück weit aus Angst heraus. Aber wir können dieses Problem tatsächlich nur lösen, wenn wir uns der Angst stellen. Ohne Veränderung kommen wir unserm Ziel, diesen Klimanotstand einzuhalten, nicht weiter.
Für Kritiker der Zivilgesellschaft wären sie wahrscheinlich so was wie ein Berufsdemonstrant. Was ist die Wurzel für dieses Engagement, das sie einer bürgerlichen Karriere ja vorgezogen haben und das sie letztlich auch ins Gefängnis gebracht hat?
Also ich glaube, es hängt mit meinen Werten zusammen. Ich habe schon in früher Kindheit mich mit Thema ‚Eine Welt‘ auseinandergesetzt und habe auch vorgehabt, Theologie zu studieren. Ich habe mich mit diesen eher ethischen, moralischen Themen beschäftigt und das hat mich einfach sensibel gemacht zum Thema Gerechtigkeit. Z.B. wenn es um Krieg und Frieden geht und atomare Aufrüstung und die Wahrscheinlichkeit groß war, entweder wir überleben die Bombe oder wir schaffen die Bombe ab. Aus diesem Bewusstsein heraus war eben dieser Trieb da. Heute sind wir bei dem Themen Klimanotstand, Artenvielfalt und Gerechtigkeit an dem gleichen Punkt der Entscheidung, weltweit.
Angefangen hat es ja bei ihnen wohl mit Pax Christi und mit dem Widerstand gegen die amerikanischen Atomraketen in Deutschland in den 80iger Jahren. Inwieweit war das ein Zündfunke für so ein Leben im Widerstand und was haben sie da gelernt?
Ich habe gelernt, dass – obwohl über 100 000 Demonstranten zwischen Ulm und Stuttgart auf der Autobahn gegen die Stationierung der Mittelstreckenraketen und 500.000 Demonstrierende in Bonn protestierten – die Mittelstreckenraketen wurden trotzdem stationiert, – Es muß also noch eine Möglichkeit eines einschneindenderen Widerstands geben, der noch klarer den politischen Entscheidern sagt : „Nee, wir müssen einen anderen Weg gehen. Wir können diese Rüstungspirale nicht weiter treiben lassen!“. Wir haben uns in Mutlangen und Heilbronn für den zivilen Ungehorsam entschieden und sind vor die Militärkasernen und haben dort mit Sitzblockaden die Einfahrten blockiert. Die Konsequenz waren Gerichtsprozesse im Amtsgericht, im Landgericht bis zum Bundesverfassungsgericht. In diesem Widerstand habe ich gelernt, dass Ziviler Ungehorsam nicht nur eine Aktionsform ist, sondern eine Lebensform, der Teil von einem selbst wird.
Es folgte dann Proteste gegen Atomkraft und in Wackersdorf gegen die Wiederaufbereitungsanlage. Brauchte es da zwischendurch auch Erfolgserlebnisse oder war der Protest selbst so ein Stück eigene Lebensqualität?
Es gab in der Auseinandersetzung um dem Bau von Atomkraftwerken ja schon in Wyhl am Kaiserstuhl dieses Erfolgserlebnis. Und in vielen anderen Orten, wo AKWs gebaut wurden, gab es über Jahre auch große Protest. In Wackersdorf kam noch eine weitere Stufe dazu. Wir haben damals von einer „Weiter – Aufrüstungsanlage gesprochen, weil bei diesem Prozess Plutonium gewonnen wird, was der Grundstoff ist für die Atombomben ist. Für mich war dieser Widerstand in Wackersdorf auch ein Kennenlernen, wie Protest auf dem Platz organisiert wird. Wir haben in Sprecherinnenkreisen miteinander abgestimmt, welche Formen des Protestes wir organisieren wollen.
Sie haben dann später auch gegen ungebremste Gentechnik eingesetzt und auch schon mal Versuchspflanzen aus dem Boden rausgerupft. Wie weit sind sie bereit zu gehen, um etwas zu bremsen, was sie als falsch erkannt haben? Und woher nehmen sie die Sicherheit, da recht zu haben?
Ich hatte einen eigenen Bioladen in Calw betrieben. In diesem Zusammenhang wurde klar, dass wir in absehbarer Zeit keine biologisch angebaute Lebensmittel mehr haben werden, wenn wir die Gentechnik auf dem Acker auch in Deutschland zulassen .Die Erfahrung gab es in anderen Ländern wie in Kanada und USA, wo in manchen Gebieten aufgrund der Vermischung von genveränderten Anbau und nicht genverändertem Anbau kein biologischer Anbau mehr möglich war. Hier wollten und wollen wieder fünf große Firmen bestimmen, was wir auf der ganzen Welt essen dürfen. Sie stellen weltweit das genvänderte Saatgut und die darauf abgestimmten chemischen Spritzmitteln , z.B. das krebserregende Totalherbizid Glyphosat her und machen die Bauern von ihnen abhängig. Das dürfen wir auch heute nicht zulassen.
In Stuttgart 21 haben sie ja dann über Jahre den Kampf gegen das Großprojekt mit begleitet, wo es auch zu ganz neuen Berührungen kam zwischen einer kapitalismuskritischen Protestbewegung und Bürgerinitiativen, die eher vielleicht sich auf konservative Heimatbilder bezogen. Der Bau ist im Gange, Stuttgart 21 wird kommen. Warum resignieren sie nicht? Woher kommt dieses Durchhaltevermögen?
Mehrere Bewegungen, wo ich kurz vorher mit dem Zivilen Ungehorsams – Aktionen mit dabei war, waren weitgehend alle erfolgreich. Also von dem heraus hatte ich die Motivation gehabt, unsere Erfahrungen auch dort ein zu bringen. Es gab Wochen, da haben wir drei bis viermal in der Woche Demonstrationen zwischen 30 000 und 40.000 Menschen auf die Straße gebracht. Der Protest hatte wirklich eine Riesendimension und es war so eine ganz eigene Energie zu spüren. Miteinander können wir was erreichen, können wir Aktion planen und die Menschen machen mit. Es waren dort viele Bürgerinnen und Bürger, die vorher noch nie auf der Straße waren. Wir haben da Herzen bewegt und haben auch das Gefühl gehabt, wir entwickeln da eine neue Gesellschaft. Es wird gerade aktuell gebaut, das ist richtig, aber es ist immer noch nicht klar, ob es so zu Ende gebaut wird. Auf der anderen Seite haben wir politisch was erreicht. In Baden Württemberg wurde die CDU nach 60 Jahre abgewählt , es kamen die Grünen an die Regierung und es ist bis jetzt immer noch grünes Bundesland, das von einem grünen Ministerpräsident geführt wird.
Jetzt die letzten 10 Jahre ging es primär um die Klimabewegung und um den Kampf gegen fossile Industrie, gegen Kohleförderung und Kohlekraftwerke und für die Einhaltung einer guten Klimapolitik. Da ist jetzt viel ‚Dagegen‘ im Raum. Wie sieht dieses ‚Dafür-Engagement‘ aus? Oder hängt beides immer zusammen?
In meiner Geschichte, 40 Jahre Widerstand, war mir immer wichtig, beides aufzuzeigen. Also zu sagen, es geht in die falsche Richtung beim Thema Klimanotstand. Wir müssen die Verbrennung von fossilen Energien anhalten. Und die positive Antwort ist, wir verbrauchen weniger Energie und entwickeln erneuerbare Energien. Ich habe das bald erkannt und habe selber angefangen Agenda 21 Gruppen mit aufzubauen und bin dann beruflich in den Ausbau von Erneuerbarer Energie als Berater mit eingestiegen, habe Solaranlagen geplant, verkauft und montiert und bin immer noch inhaltlich aktuell an Projekten dran, die ich dort, wo ich lebe, auch umsetze.
Trotzdem ist ja auch ein Frustmoment da, wenn man zum zehnten Mal nach Berlin zur Demo fährt, mit der die Landwirtschaft verwandelt werden soll und trotzdem die biologischen Lebensmittel bei irgendwelchen einstelligen Prozentzahlen rumdümpeln. Was führt dazu, dass sie sich nicht ins Private zurückziehen und sagen ‚Ich kann nicht mehr‘?
Ja, manche Themen sind tatsächlich sehr langathmig zu bearbeiten, weil die Kräfteverhältnisse in diesen Strukturen so klar sind. Wenn man das Thema Ernährung anschaut, die Bauern, da gibt es eine große Lobby in Europa und weltweit, wo wir sehr schwer haben gegen was zu verändern. Es braucht sehr, sehr lange und wir müssen dicke Löcher bohren. Trotzdem fahren wir jedes Jahr zu „Wir haben satt“ – Demo nach Berlin, manchmal mit 150 Traktoren. Wir bleiben an dem Thema dran. Die Motivation ist schon so, dass ich eine Vision von einer Welt habe, in der ich gerne leben möchte. Und ich weiß, die können wir nicht innerhalb von einem Jahr oder fünf oder 20 Jahren in die Richtung entwickeln. Es braucht seine Zeit. Aber jedes Mal kommt ein kleines Puzzleteil dazu, was mich motiviert zu ‚Ich lege auch noch einen Teil dazu‘. Und dann wird das Bild immer größer und stimmiger.
Ist eigentlich dann das Engagement für die letzte Generation, dass sie ja hinter Gittern gebracht hat, eine Radikalisierung? Oder hat sich eher die Gesellschaft verschlimmert und sie halten dagegen wie eh und je?
Also Radikalisierung insofern, dass die Aktionsform von einer Demonstration, von einer Petition nicht erfolgreich waren. Dass wir jetzt gesagt haben: Wir haben nicht mehr viel Zeit. Das hat uns damals motiviert zu: Gut, wir setzen uns jetzt wirklich auf die Straße und rufen die Bevölkerung und die Politiker auf, andere Wege zu gehen. Auch kleben wir uns hin, um das Zeichen nochmal zu verstärken. Aber natürlich ist es so, wenn wir uns radikalisieren, der Staat und die Politiker sich schwer tun zu sagen „Ihr habt recht, dass ihr das macht!“ Und deswegen werden sie weiterhin versuchen, uns zu kriminalisieren. Aber für mich sind diese Aktionen, die ich bis jetzt gemacht habe, in Anbetracht der Zweck-Mittel-Relation immer nicht verwerflich. Also es war immer legal, eingebunden tatsächlich in unserem Grundgesetz, dass wir diese Aktionen der Demonstration, des Aufschreiens machen dürfen und ich denke sogar machen müssen. Und ich habe mich da angesprochen gefühlt, als Teil dieser Gesellschaft auch mit teilzunehmen, zu sagen: „Stopp, lass uns was anderes machen!“ Es ist möglich.
Jetzt benennt sich gerade die ‚Letzte Generation‘ um in ‚Neue Generation‘. Ist das ein Abschied von der apokalyptischen Warnung, ein Abschied von der Dringlichkeit oder einfach der Versuch, mehr ins positive Wirken hineinzugehen, als im Dagegen zu bleiben?
Die Überlegung war, ob wir nicht noch mehr versuchen sollten, noch positivere Wege zu gehen, mehr Menschen abzuholen, nicht nur auf diesem Protest zu bleiben. Da gab es eine Gruppe, die jetzt beschlossen hat, sie möchte Menschen abholen und einbetten in Entscheidungen. Seit ein paar Jahren gibt es ja schon bundesweite Bürgerinnenräte, wo 160 Bürgerinnen aus der Gesellschaft gelost werden, die sich dann zusammensetzen, an einem Thema arbeiten und dann Vorschläge machen für die Politiker. Und diese Gruppe, die sich jetzt gebildet hat, die nimmt sich diesem Thema an.Wir müssen neue Entscheidungsstrukturen entwickeln, bundesweit, landesweit, in den Städten, in Dörfern, wo Menschen sich mehr beteiligen können. Diese Entwicklung wollen wir jetzt intensiv bewegen und laden die Bürgerinnen und Bürger ein, da mitzumachen, wenn in ihren Städten solche Initiativen entstehen. Sie können sich da an uns wenden.
Nun ist ja der Klimawandel in der aktuellen politischen Agenda ziemlich nach hinten gerutscht. Was bedeutet das für den zivilgesellschaftlichen Widerstand?
Also jedes Mal, wenn irgendwas passiert, ob es Überschwemmungen gibt oder Brände in Los Angeles oder wenn die Gletscher schmelzen und innerhalb von 20 Jahren das Wasser um die Gletscher 10 Grad wärmer wird, da werden wir wach. Aktuell ist das Thema Klima nicht da. Wenn morgen irgendwo irgendwas passiert, ist es wieder extrem da. Es ist halt die Zeit, wenn so viele Krisen entstehen – man weiß gar nicht mehr, wohin man gehen kann und was noch was bringt. Ist es die Entwicklung nach rechts? Ist es gerade die Entstehung neuer Kriege? Oder ist gerade das Thema Klima so wichtig? Und es sind momentan noch nicht wachsende Mehrheiten oder große Mengen von Menschen, die aufstehen und sagen, wir wollen uns beteiligen an den Entscheidungen. Ich glaube, das wäre total wichtig, auch jetzt nach der Wahl: Wir müssen als Zivilgesellschaft uns jetzt mehr einmischen und uns vernetzen und miteinander was schönes Zukünftiges bauen.
Rechnen sie mit einer Stärkung der außerparlamentarischen Opposition durch eine neue Regierungskonstellation, wo Grüne und Linke in der Opposition sind? Wird es da eine neue Form von außerparlamentarischer Opposition geben?
Ich hoffe, dass es sich so entwickelt, dass vielleicht ein Rat der Zivilgesellschaft gegründet wird, wo große zivilgesellschaftlichen Gruppen, ob das jetzt Gewerkschaften sind oder Kirchen oder Aktionsgruppen, miteinander überlegen, wo wir als Zivilgesellschaft auch mitreden können und selber Entscheidungen treffen können. Und ich halte es für total wichtig , dass diese Zivilgesellschaft jetzt nicht wieder vier Jahre wartet bis zur nächsten Wahl, sondern aktiv zu diesen Treffen kommen und auch mitreden können, mitentscheiden können, wie unsere Zukunft aussieht. Davor brauchen die Politikerinnen keine Angst haben. Im Gegenteil. Das ist dann eine gelebte Demokratie.