Brief 8, 06.02.2025

Weiter mit Brief 9, 22.02.2025

Hallo ihr da draußen,

vor ca. 10 Tagen ging es mir für 4 Tage nicht so gut. Das war nach der Machtübernahme von Trump. Das hat mich sowohl körperlich, als auch seelisch sehr angegriffen. Starker Husten, Schnupfen und erhöhte Temperatur waren die Symptome. Ich hab mir schleimlösende Tabletten geben lassen, und mir „Ruhe“ verordnet, so dass ich die Symptome jetzt weitestgehend überwinden konnte. Dass auch eine Verunsicherung durch die Inhaftierung mit einher ging, war voraussehbar.

Was mache ich hier überhaupt? Wem bringt das was? Welche politischen Zeichen kann ich damit setzen? Sind sie wirksam im Sinne der Zielsetzung, einen Wandel der Klimapolitik mit zu unterstützen? Wer bekommt das überhaupt mit? Mittlerweile bekam ich von mehreren Briefeschreibern eine positive Rückmeldung. Anscheinend kommen doch ab und zu ein paar Meldungen in den sozialen Medien über die Inhaftierung von Kevin, der wieder entlassen wurde, von Miriam, die wegen Aktionen von LG für 3 Wochen inhaftiert wurde.

Ich bekam von mehreren Briefschreibern den Wunsch geäußert, dass ich meine politischen Beweggründe und Sichtweisen über „Haft als Konsequenz politischer Einmischung“ darlegen könnte, was ich ansatzweise heute machen werde.

Die Beschäftigung mit diesem Thema gibt mir gerade eine neue „Kraft“, auch aus meinem persönlichen Erfahrungsschatz zu berichten. Dabei lege ich Wert darauf, dass es Erfahrungen aus meinem politischen Protest und Widerstandsleben sind, deren Allgemeingültigkeit ich nicht aus wissenschaftlichen Erkenntnissen erziele. Sie sollen dazu einen Beitrag für eine kreative Diskussion über ein „Wie geht’s weiter?“ sein. Zufällig kommt heute in der Wochen-TAZ 1.7.2 25 ein interessanter Beitrag „Wie es weitergeht – was brauchen Protestbewegungen zum Durchhalten?“ (von Friederike Gräff) Anhand dieses Artikels möchte ich meine Überlegungen mit einbringen. Der Artikel kann online in der TAZ nachgelesen werden (https://taz.de/Protestbewegungen/!6064660/)

Der Artikel beginnt über einen Bericht über ein Mitglied der „Letzten Generation“, eines jungen Mannes. Er war angeklagt, weil er Farbe an die Hamburger Uni gesprüht hatte. Der Angeklagte sagte nichts, außer, dass er bei der LG aufgehört hat und mit anderen Aussteigern einen Lebenshof für Schlachttiere plant. Erst im Gang des Gerichtssaals sagte er, das 1.5 Gradziel sei verfehlt. Er habe alles versucht, gespendet, demonstriert, blockiert, vergeblich. „Ich habe keine Hoffnung mehr“.

Auch bei der Bewegung „Extension Rebellion“ machte sich der Frust breit. „Keine Forderungen sind erfüllt. Seit dem Ukraine-Krieg spricht niemand mehr vom Thema Klima“. Wie realistisch ist diese Wahrnehmung. Bill Moyer, ein Bürgerrechtsaktivist, der eigentlich überall dabei war, beim Kampf gegen rassistische Wohnungspolitik, bei „Poor Peoples Campaign“, beim „American Indian Movement“ und Vietnamprotest, entwarf einen „Movement Action Plan“ aus den Erfahrungen vieler sozialer Bewegungen. Er teilte diese Bewegungen in 8 Stufen, von „Beginn der Bewegung“ bis zu „Den Kampf fortsetzen“. Stufe 7 ist Erfolg. Stufe 5 ist eine sehr wichtige „Die Krise der Machtlosigkeit erkennen“. Es ist typisch, dass nach 2-3 Jahren diese 5.te Phase eintritt. So ist es jetzt bei dem Thema „Klima“. Wir meinen, jetzt verloren zu haben, weil unsere formulierten Ziele nicht erreicht wurden und wir die Machtausübendenden und deren zerstörerische Energien nicht zum Stoppen gebracht haben. Es wird aber nicht erkannt, dass jetzt der Moment eingetroffen ist, dass die Phase 6 schon begonnen hat, die mehrheitliche öffentliche Unterstützung für die Klimaziele und damit der Beginn des Erfolges sich abzeichnet.

Auch bei der Bewegung „Occupy“, die Bewegung gegen die Macht der Banken und der Reichen kam die Frage auf, ab wann ist eine Bewegung erfolgreich. War sie nicht erfolgreich, weil sie die gegenwärtige Forderung mit auf den Weg gebracht hat, dass die Reichen für ihren Anteil an der Klimakrise aufkommen müssen? In der TAZ von heute, 1.2.2025, kommen 2 Artikel, wie viel mehr die Reichen sich an der Zerstörung unseres Planeten beteiligen als die ärmeren Menschen. Das wird hoffentlich sich bald ändern. Ein weiteres Indiz, dass wir schon auf dem Weg der positiven Veränderung sind, kommt von einem KZ-Überlebenden Marian Turski, der am letzten Montag anlässlich des 80.ten Jahrestages der Befreiung von Auschwitz vor laufender Kamera sagte: „Wir sollten uns nicht scheuen, über die Probleme der sogenannten letzten Generation zu sprechen. Diese jungen Menschen mögen zwar unsere Gesellschaftsordnung und unser Rechtssystem stören, aber ein Richter sagte bei der Urteilsverkündigung diese bemerkenswerten Worte: Vielleicht verurteile ich heute die Helden von morgen.“ Unter den Zuhörern waren König Charles, Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenski, 60 staatliche Delegationen und internationale Organisationen und Millionen Zuschauer und Zuhörerinnen aus der ganzen Welt im Fernsehen. Interessant waren die Aussagen von fast allen noch betagten Zeitzeugen, dass die Zeit allein an das Erinnern vorüber ist und es nicht reicht, wehret den Anfängen zu proklamieren, sondern aufgrund der Aktualität des Weltgeschehens der „Rechten“ Bewegungen ein „Bedenke das Ende“ dieser Entwicklung zu betrachten und „zu einem Handeln“ zu kommen. Circa 800 000 gingen allein in der BRD in den letzten paar Tagen auf die Straßen und es wird wohl nötig sein, dass diese Zeichen nicht nachlassen dürfen. In diesem Kontext fällt mir die Aussage eines Amtsgerichtsrichter von Schwäbisch Gmünd Mitte der 80er-Jahre ein, als wir zu x-ten Mal vo ihm wegen „Nötigung“ aufgrund von Sitzblockaden vor dem amerikanischen Raketendepot der bestückten Atomwaffen in Mutlangen Nähe Stuttgart verurteilt wurden. Er meinte, dass er sich auch vorstellen kann, dass irgendwann mal unser damaliges handeln der Widerstands als rechtens anerkannt würde. Ich entgegnete ihm: Wenn es irgendwann mal rechtens ist, was wir gemacht haben, dann können Sie uns auch schon heute freisprechen. Was ja dann auch so passiert ist, und ca 3000 Verfahren eingestellt wurden, weil unsere Blockaden nicht als verwerflich betrachtet wurden. 50 Menschen wurden rehabilitiert, die in dieser Zeit von ein paar Tagen bis über ein Jahr inhaftiert wurden und entschädigt werden mussten. „Was verrät den Aktivistinnen auf der Straße des Bill moyes Movement Action Plans, MMP, ob ihre Zweifel Begleiterscheinung ihres Erfolges sind oder vielmehr Symptome ihres Scheiterns?

Betrachten wir mal im Rückblick die Entwicklung des Widerstands gegen den Klimawandel hier in der BRD:

Ich meine 2013 begann der Widerstand gegen den Kohleabbau als erstes sichtbarer, körperlicher Widerstand gegen die Verstromung der Kohle Rheinischen Kohleabbaugebiet zwischen Köln und Aachen mit einem einwöchigen Klimacamp von ca. 100 Personen. Dem vorgelagert war ein Camp der internationalen Degrowth-Bewegung. Daraus entwickelte sich dann die Bewegung „Ende Gelände“, in der sich jährlich die Teilnehmerinnenzahlen jeweils verdoppelten, und bis zu 7000 Teilnehmerinnen anwuchsen. Wir besetzten die Gleise der Kohlezüge, die Kohlebagger und die Kohleumladestationen. Mit Erfolg. „Es stehen die Räder der Kohlebahnen still, wenn die Antikohlebewegung das will“. „System change, not climate change“.

Wir erreichten hauptsächlich in den Widerstandstagen sehr große Öffentlichkeit über die Medien und legten, wenigstens symbolisch, die Kohleverbrennung 1-2 Tage in dem Kohlekraftwerk still. Die Vernetzung mit dem vor Ort Protest „Alle Dörfer bleiben“ nahm von Jahr zu Jahr zu. Die ersten Häuser der „Abbruchdörfer wurden besetzt. „Hambi“ wurde ein Ort des Widerstands, aber auch ein Ort des solidarischen Anderslebens. Dieser Widerstand hatte eine ganz eigene Energie, die was mit Aufbau von einem anderen Leben zu tun hatte. Es war nicht nur Protest, sondern das Suchen, wie können in Symbiose mit Natur und in einem guten Leben für alle leben. Das hatte mich persönlich sehr angesprochen, weil ich insgeheim für mich selber auch auf der Suche war, wie Widerstand das gute Leben miteinander gehen kann. Für mich ist ziviler Ungehorsam nicht nur eine Protestform, in der ich aufzeigen will, was ich nicht zulassen will, weil dadurch so viel zerstört wird, sondern auch eine Lebensform mit der Fragestellung, wie können Menschen solidarisch im Einklang mit der Natur und „enkeltauglich“ erfüllt und glücklich miteinander leben. Darum haben mich Bewegungen wie der Protest gegen die atomare Aufrüstung in den 80er Jahren in Mutlangen und Großengstingen sehr angesprochen. Dort entstanden parallel zum Protest neue Lebensformen, in denen ganzheitliche Lebensansätze diskutiert und auch gelebt wurden. Frieden mit der Natur, mit den Menschen – wie geht das – waren die Grundfragen, auf die ich dort wenigstens ansatzweise Antworten fand.

Die Klimabewegung in der BRD entwickelte sich immer weiter. So wurde der Staffelstab von der einen Bewegung zur anderen weitergereicht. War es in den ersten Jahren „Ende Gelände“, die den Stab trug, wurde dieser auch mal „Extention Rebellion“ und später „Friday for Future“ übergeben. In dieser Dynamik entstand die Kohlekommision mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung und das Klimaschutzgesetz, das Verfassungsrang bekam.

Mit Corona und der Unmöglichkeit, sich treffen zu können und sich zu organisieren, brachen alle Klimagruppen in ihrem Wirkungskreis ein. Damit war das Thema Klima aus dem öffentlichen Diskurs draußen. Das war dann die Geburtsstunde für die „Letzte Generation“. Der inhaltliche Druck aus den Äußerungen der Klimawissenschaftlerinnen, dass wir nur noch ein paar Jahre Zeit haben, um den Klimawandel noch in einigermaßen erträglichem Maße anzuhalten, motivierten die Aktivistinnen der LG. Uns war klar, nur krasser, einschneidender Widerstand mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit kann diese Wirkung, wenn überhaupt, erzielen.

Das Klimaschutzgesetz wurde von den Politgerinnen ungenügend eingehalten. Weite Teile der Regierung waren nicht gewillt, aktiven Klimaschutz zu betreiben. Der Widerstand der Lobbyisten für einen Politikwechsel war zu groß. Die inhaltliche Diskussionen reichten für eine Veränderung nicht aus.

Wie in vielen anderen sozialen Bewegungen ist ziviler Ungehorsam dann notwendig, wenn klassische Protestformen wie Demos und Petitionen nicht mehr ausreichen, um dringend notwendige Veränderungen zu bewirken. Es geht ums Überleben von Millionen Menschen, laut neuesten Berichten des Weltklimarats, aber die Politikerinnen fühlen sich nicht angesprochen, entsprechend zu handeln. Uns Aktivisten war klar, dass diese Aktionsformen krass sein müssen und dass wir auch bereit sein müssen, den Widerstand in die Gerichte zu tragen in der Konsequenz Haft in Kauf zu nehmen. In den vielen Prozessen legten wir den Zuhörerinnen und Richtern und Staatsanwalt dar, dass wir gar nicht anders handeln können, als mit dem zivilen Ungehorsam zu versuchen, einen schnellen Politikwechsel zu erreichen. Dabei ging und geht es uns nicht nur um schnelle Klimaschutzmaßnahmen im engeren Sinne, sondern letztendlich um einen notwendigen Paradigmenwechsel auf vielen Ebenen im Sinne einer neuen Beziehung zu der Natur und deren Geschöpfe. Dies ist natürlich eine Mammutaufgabe und setzt bei den Menschen eine große Bereitschaft zu Veränderung voraus, weg von der Verdrängung zu lösungsorientiertem Verhalten. Der Gewinn für die Aktivisten bemisst sich nicht monetär, nicht im größeren Konsum, sondern in dem befriedigendem Gefühl, miteinander auf einem solidarischen in Achtsamkeit gegenüber der Natur und deren Geschöpfe den Weg zu gehen. Diese Werte sind in allen Menschen angelegt, müssen nur wieder entdeckt werden und stehen dem aktuellen Mainstream des Egoismus, Konsums Konkurrenz und immer mehr entgegen. Es stellt sich die Frage, ob sich Menschen von diesen Ideen, Werten und Lebenseinstellungen anstecken lassen. Und ob dies auch bereit sind, dafür sich einzusetzen. Denn ohne Kräfteeinsatz und Bereitschaft, sich aus den Zuschauerbänken zu erheben, geht es nicht. Ja zum Widerstand und gutes Leben für alle.

Liebe Grüße

Karl