Weiter mit Brief 8, 06.02.2025
Liebe Interessierte da draußen,
jetzt sitze ich gerade in einer neuen Zelle, im sogenannten Freigängerhaus im offenen Vollzug. Dieser Vollzug kam einfach in den letzten Tagen auf mich zugeflogen, wie so vieles, so meine Wahrnehmung. Was ist das? Das ist ein Haus, ähnlich wie die anderen, nur etwas kleiner, etwas außerhalb des „normalen“ Geländes gelegen, zwar auch umzäunt, aber nicht mit Stacheldraht und hohen Mauern. Freigänger sind die Menschen, die auf der Schwelle zum Entlassen werden stehen und meist irgendwo draußen einen Job haben. Sie haben meist nur noch ein paar Monate zum Absitzen, können aber doch selbständig – meines Wissens mit einfacher Kontrolle – die JVA morgens verlassen und abends nach der Arbeit wieder reinkommen. Die Türen der Zellen werden nicht abgeschlossen, d.h. ich kann die ganze Zeit die Tür offen lassen oder selbstständig wieder zumachen, wenn ich mich zurückziehen will. Die Zelle sieht ähnlich wie alle anderen aus, außer dass sie kein Klo hat. Dazu gehe ich auf den Gang zum gemeinsamen WC.
Mehrere Stunden am Tag und auch in der Nacht ist keine Wache da, d.h. wir sind unter uns Inhaftierten. Mir ist sehr angenehm, wenn ich nicht ständig die Schlüssel höre und die oft sehr lauten Schlösser.. Das heißt für mich, dass ich schon zu den Menschen gehöre, die eine relativ geringe Restabsitzzeit haben. Das fühlt sich weitaus besser an als in den vorherigen Räumen. Auch das Telefonieren von außen nach innen ist in einem bestimmten Rahmen möglich und kann unter uns Inhaftierten mit geregelt werden. Mittlerweile ist der Tagesablauf ziemlich „normal“ und es passiert relativ wenig. Ich bin so dankbar über die vielen Briefe und solidarischen Grüße. Wenn ich einen gelesen habe, würde ich am liebsten gleich darauf antworten, aber es warten mindestens noch 25 Briefe auf Antwort. So schön! Vielleicht mach ich im nächsten Blogbeitrag nur mit Kurzantworten auf die Anfragen und persönlicher Stellungnahmen. Heute möchte ich euch noch von einem Artikel aus der Tageszeitung „Junge Zeit“, die ich seit 3 Tagen als Abo zugeschickt bekam – vielen Dank dafür – schreiben (vom 7.1.2025). Es geht eine aktuelle Antwort von Habeck: „Wir müssen den Etat für Militär und Rüstung auf 3,5% der Wirtschaftsleistung erhöhen“ und die heftige Aussage von Trump, dass die Euroländer sogar auf 5% aufstocken müssen. Das tut weh, welche Entwicklung da sich breit macht. Wer mehr bietet, der gewinnt, komplett auf eine vollkommen andere Friedenspolitik des Ausgleichens, der Solidarität, das Ringen um echte friedliche Lösungen zu suchen.
„Wir können uns Kriege und militärische Aufrüstung nicht mehr leisten“, muss das Leitmotiv des politischen Ringens sein. Der Klimanotstand, das Artensterben und die Klimagerechtigkeit mit all dem jetzigen und noch kommenden Leid ruft uns dazu auf, einen komplett anderen Weg zu gehen, als der gezeichnete der Zerstörung durch Kriege.
Ist Diplomatie immer nur die zweitbeste Lösung?
Warum wird der vielversprechende Ansatz aus dem Treffen in der Schweiz mit vielen Ländern wie Indien, Brasilien, Türkei und vielen mehr, die diplomatisch auf Putin wirken können, nicht intensiv von USA und BRD weiterentwickelt?
Warum wird Russland nicht Alternativangebote zur Lieferung von Gas und Öl gemacht? Z.B. gibt es einen ernst zu nehmenden Vorschlag der erneuerbare Energiebewegung, im Norden von Russland tausende von Windräder aufzustellen und den Strom u.a. auch nach Europa zu liefern. Das wäre eine Win-Win Situation für das Klima, für einen Umstieg der fossilen Energien auf Erneuerbare. Es könnten die Infrastruktur der Gaspipelines in alle Richtungen der Abnehmer genutzt werden, und es ein Raum einer neuen Partnerschaft auf Augenhöhe mit Russland geschaffen. Wenn jetzt die Gegner sagen, solche Vorschläge seien naiv, dem könnte geantwortet werden, wie kriminell sind den die Vorschläge, weiter auf Abschreckung und Rüstung mit all den jetzigen und künftigen Folgen zu setzen?
Was ist aus der „grünen“ Friedensbewegung aus den 80er Jahren geworden, die damals mit der Friedensforschung und Millionen von Menschen dafür eingetreten ist, aus der Rüstungsspirale auszutreten und neue Wege der Versöhnung und Konfliktlösung zu gehen? Diese war erfolgreich.
Müssen wir die Friedensbewegung mit all den Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen, Kirchen, Gewerkschaften, auch mit der einen oder anderen Partei – außer AVD – nicht wieder vor die Kasernen der Mittelstreckenraketen Sitzblockaden organisieren, um auf das Unrecht der weiteren Aufrüstung zu protestieren? Und auch vor die Tore der Rüstungsindustrie wie z.B. Rheinmetall, die mit der Motor der Rüstungsproduktion sind, weil sie daran ihre Millionen und Milliarden verdienen, aber gleichzeitig wahnsinnige Energien und Resourcen verbrauchen, die wir nicht haben und damit weniger für den Umstieg aus eine klimaverträgliche Industrie zur Verfügung haben.
Für den Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und den ökologischen Umbau der Industrie werden in den nächsten 10 Jahren jährlich mindestens 60 Mrd an öffentlicher Unterstützung benötigt. Das wäre ungefähr so viel, was eine Erhöhung des von den Grünen vorgesehenen Bundeswehretats ausmacht. Müssen wir uns jetzt entscheiden? Das heißt, wir können uns weitere Aufrüstung nicht mehr leisten und müssen auf Diplomatie und Win-Win-Entwicklungen umsteigen.
Ergebnis: auch hier können wir uns speziell auch in dem Zeitraum der Wahlen klar positionieren und in den Wahlen nicht die Rüstungserhöhung wählen.
Zum Schluss freue ich mich auf eine am 5. Januar gemachte Solidaritätsaktion am Viktualienmarkt von der Münchner Gruppe der letzten Generation. Sie blockierten 30 Minuten eine Straße, um auf die Kriminalisierung der Protestaktionen mit dem Ergebnis meiner 5 monatigen Haftstrafe aufmerksam zu machen. Mit „Klimaschutz ist kein Verbrechen“-Plakaten machten sie deutlich, dass Protest gegen das Nichthandeln der PolitikerInnen im Zusammenhang mit dem Klimanotstand dringend notwendig ist. Das finde ich richtig toll, und sie wollen das nochmal machen. Der Artikel erschien in der Süddeutschen Zeitung. Vielen Dank, Wolli, Ernst und Claudia für eure Solidarität und das politische Zeichen in der Öffentlichkeit, dass unser Protest weitergeht.
Wir lassen uns nicht einschüchtern. Es steht so viel auf dem Spiel.
Viele Grüße aus Zelle 9
Karl
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