Manuskript Interview

Gesendet am 20.02.2025. Mit freundlicher Genehmigung von Geseko von Lüpke

Tag für Tag Klimaaktivist Karl Braig im Gefängnis

MODERATION: Sie waren – gemessen an der öffentlichen Reaktion – eine der erfolgreichsten Protestbewegungen der letzten 20 Jahre: die ‚Letzte Generation‘. Die Aktionen der radikalen Klimaaktivisten waren provokant und so gezielt, dass sie ins Herz der fossilen Gesellschaft trafen – und es regelmäßig bis in die abendliche Tagesschau schafften. Sie klebten sich auf Straßen und Runways und stoppten so die mobile Gesellschaft symbolisch für eine kurze Zeit. Und sie beriefen sich mit ihrem Namen indirekt auf eine biblische Metapher: Die drohende Apokalypse, die sie kurz vor der Öko-Katastrophe zum Handeln am Rande des Legalität zwingen würde. Deutschland, das Autofahrer-Land, fand das nicht lustig. Autofahrer tobten, die Boulevard-Blätter hetzten gegen die ‚Klimakleber‘, Politiker kriminalisierten die Blockaden, Gerichte verhängten drakonische Strafen. Mit Erfolg. Die ‚Letzte Generation‘ blockiert erstmal nicht mehr. Der Protest gegen eine mangelhafte Klimapolitik ist verstummt. Recht hatten sie mit ihrer Kritik in den Augen vieler trotzdem, auch wenn die Methoden fragwürdig waren. Jetzt müssen die Aktivisten ihre Haftstrafen antreten. Geseko v. Lüpke traf sich mit Karl Braig, einem 69jährigen Mitglied der ‚letzten Generation‘, vor der Haft und im Knast:

AUTOR

Wann entsteht Schuld durch Nichtstun? Wann wird Widerstand zur Pflicht? Und wie umgehen mit der Strafe, die ‚im Namen des Volkes‘ folgen kann? Die Fragen musste sich Karl Braig stellen, Klima-Aktivist aus dem bayerischen Kempten, der sich vor Jahren entschied, im Protest gegen eine aus seiner Sicht mangelhafte Klimapolitik die fossile Gesellschaft symbolisch auszubremsen. Er fuhr 2022 mit seinen Mitstreitenden von der ‚Letzten Generation‘ ins niederbayerische Passau, zog sich eine gelbe Warnweste an, schmierte sich Sekundenkleber in die Handfläche und pappte sich auf den Asphalt. Machte sich taub gegen die wütende Huperei, wie er kurz nach der Aktion erklärte:

ZUSPIELUNG Wort 1 (0/4:36)

Das ist eine Art Verzweiflungsakt! Also wir sagen: Wir sind die ‚Letzte Generation‘, die jetzt noch dieses Ruder rumreißen können, die jetzt noch aktiv was machen können. Eine Generation nach uns, dann ist es schon zu spät. Wir haben jetzt nach Aussagen der Klimaforscher nur noch paar Jahre Zeit, um wirklich gravierend was zu verändern. Ich weiß, dass es legal und legitim ist, das zu machen. Und deswegen bin ich dort ziemlich klar in meinem Tun und souverän und weiß, dass es richtig ist, egal was an Repressionen passiert. (6:19)

AUTOR

Die Protestaktionen der Letzten Generation beherrschten monatelang die Schlagzeilen: Wieviel Widerstand ist angemessen gegen eine ungenügende Klimapolitik? Ist ‚ziviler Ungehorsam‘ strafbar? Rechtfertigt die Notlage einer wissenschaftlich absehbaren Klimakatastrophe radikale Formen des Protests? Politik und Boulevard-Medien sprachen um ‚Umwelt-Terroristen‘, gar von einer ‚Klima-RAF‘, während die Aktivisten von Umwelt-Ethikern und auch der Kirche Schützenhilfe bekamen. Zugleich hagelte es Anzeigen! Und die Mühlen der Justiz setzten sich in Bewegung. Nachdem die ersten Proteste der ‚Klimakleber‘ noch mit Bußgeldern geahndet wurden, wurden die Urteile der Richter immer härter. 2023 traf es den heute 69jährigen Karl Braig aus Sulzberg bei Kempten im Allgäu, der für die zwei Blockaden à 40 Minuten verurteilt wird. Er hatte die Wahl: eine Geldstrafe zahlen und drei Jahre auf Bewährung in Kauf nehmen. Oder – als erster der Verurteilten –Ende 20-24 für fünf Monate ins Gefängnis gehen.

ZUSPIELUNG Wort 2 KB-I/1:12)

Es waren zwei Sitzblockaden, die wir in Passau gemacht haben. (2:35) Unser Plädoyer war ganz eindeutig, wir sind in der Notlage und dringend notwendig, dass wir das machen und deswegen kann es nur einen Freispruch geben. (5:15) Und von dem her hat mich das total umgehauen, diese fünf Monate Haft. Und diese drei Jahre Bewährung ist einfach ein Versuch, uns mundtot zu machen.

AUTOR

Braig muss sich entscheiden: Die Strafe akzeptieren, das Geld bezahlen, drei Jahre auf Protest verzichten? Und damit eine ‚Schuld‘ annehmen? Oder der eigenen Wahrheit folgen und in ‚stillem Protest‘ hinter Gitter gehen? Karl Braig zahlt nicht. Eine Woche vor Weihnachten 2024 tritt er die Haft an – und geht fünf Monate für die Freiheit in den ‚Bau‘, nach der Haft weiter gegen eine Politik demonstrieren zu können, die ihn zutiefst besorgt.

Mittlerweile ist es stiller geworden um die ‚Letzte Generation‘, die nach anderen Formen des Protestes sucht. Auch um Karl Braig, den ‚Tag für Tag‘ nach den ersten vier Wochen hinter Gittern besuchen darf. Die Tür der JVA Kempten öffnet sich ferngesteuert, der Besucher steht vor Panzerglas, die Kommunikation läuft über Lautsprecher. Sachlicher Ton, freundlich, aber direkt. Nach dem Gang durch den Metall-Detektor betritt man hinter einer weiteren schweren Tür unter uniformierter Begleitung das Innere des Knasts. Links ein Blick auf zwei massive Drahtzäune, oben nach innen abgeschrägt, Rollen von messerscharfem Stacheldraht obendrauf. Und dahinter eine glatte 8 Meter hohe Betonmauer. Die Botschaft ist klar – kein Entkommen! Türen werden auf- und wieder zugeschlossen. Dann der kleine kahle, hallige Interview-Raum: kaum größer als eine Besenkammer, graue Plastikstühle, Resopaltisch, Neonbeleuchtung. Der Häftling wird reingeführt: Karl Braig, in Gefängniskleidung eine graue Maus – aber lächelnd über diesen zweiten Besuch von draußen seit vier Wochen. Mehr war nicht gestattet über Weihnachten und Neujahr. Auf beiden Seiten schließen sich die Türen hinter uns, Schlüssel drehen sich im Schloss. Stille. Zeit, um zu fragen:

ZUSPIELUNG Wort 3 (KB-II/0:22)

Haben sie es bereut, die Geldstrafe, die sie als Auflage für die Bewährung zu zahlen gehabt hätten, abgelehnt und dafür die Wahl getroffen zu haben, ins Gefängnis zu gehen?

Nein, (2:57) Ich könnte mir das natürlich leicht machen und sagen: „Ja, hätte ich diese €500 bezahlt, dann hätte ich nicht ins Gefängnis müssen“. Aber mein Ansatz war ja deutlich zu machen, es ist eine politische Aktion und dazu gehört einfach auch die Zuspitzung in der politischen Aktion. 3:40) In dieser zivilen Ungehorsams-Situation, entscheide nicht ich, sondern überlasse es im Prinzip dem Richter. (4:12) Und wenn er meint, er muss mich da verurteilen, dann kaufe ich mich da nicht frei und gebe im Prinzip die Schuld zu, wenn ich sage: ‚Ich bezahle was!‘. Aber ich fühle mich ja gar nicht schuldig. Im Gegenteil: Ich würde mich schuldig fühlen, wenn ich es nicht machen würde. (2:03)

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Es ist eine Frage, die sich Aktivisten überall auf der Welt stellen: Liegt mehr Schuld darin, der Obrigkeit zu gehorchen, oder darin, das eigene Gewissen zu verleugnen. Eine ethische Frage, die sich hinter Gittern in neuer Heftigkeit stellt. Denn der Preis ist hoch, auch für Karl Braig. (105)

ZUSPIELUNG Wort 4 KBII (7:49)

Also ich habe es psychisch relativ gut verkraftet, diese vier Wochen, beginne jetzt gerade die letzten zwei, drei Tage das mal mit einer anderen Sichtweise nochmal anzuschauen. (24:50) Wo mir klar wurde, wie eingesperrt, wie unnormal ich hier bin und sein muss. Ja, das spüre ich schon. Da ging es nicht gut. Mir war es klar, dass die Situation auch kommen wird die nächsten paar Monate, vielleicht noch öfters. Und war dann auch sehr traurig, dass es so ist. (23:38) Und ja, es ist mittlerweile für mich ein Alltag und ich kann mich darauf einstellen. (25:37) Nichtsdestotrotz versuche ich dann auch wieder bei mir zu bleiben und sagen: „Ich habe diese Aktion bewusst gewählt, auch mit dem Risiko, in den Knast kommen zu müssen. (38:26)

AUTOR

Über die Schuld, die ihm mit dem Urteil des Landgerichts Passau attestiert wurde, hat er Zeit, nachzudenken. Die jüngsten Nachrichten aus dem Deutschen Klima-Rat, dass 2024 die 1,5 Grad-Grenze bei der Erderwärmung global geknackt worden ist, scheinen seinem warnenden Blockade-Appell Recht zu geben. Die Sicht der Richter kann er nachvollziehen und attestiert ihnen zugleich mangelndes Verständnis der Klimakrise. Jenseits aller rationalen Argumente wirft es ihn hinter Gittern letztlich immer wieder zurück auf die eigene Gewissensentscheidung, die mehr vom Glauben lebt, als vom sicherem Wissen. Da beruft er sich auf seine Form des mitfühlenden Christentums, die Schöpfung bewahren will.

ZUSPIELUNG Wort 5 17:43)

Also ich glaube, das war so ein bisschen eine tiefere Stimme in mir und ein tieferes Gefühl, weil ich sehr christlich erzogen wurde im katholischen Umfeld. Und diese Lehre, diese Liebe zum Menschen, die Liebe zur Natur war so ein Stück weit in mir drin sozusagen und hat sich aber ein bisschen gelöst von dieser Institution Kirche. Nichtsdestotrotz war ich sehr verbunden mit der Lehre und den Werten. Und die habe ich einfach wieder erkannt, indem ich mich dafür einsetze, egal zu welchem Thema, dieses Übel aufzulösen.

AUTOR

Und so sitzt er noch bis Mitte Mai eine ‚Schuld‘ ab, die er eher bei jenen sieht, die zu wenig gegen die Krise tun. Reue? Die fühlt er nicht, eher eine neu entdeckte Freiheit.

ZUSPIELUNG Wort 6 KBII/37:28)

Ich rufe eher dazu auf, genau sowas zu machen. (38:43) Es war richtig und in der jetzigen Situation ist es nach wie vor wichtig und richtig, das zu machen. (42:43) Wenn ich deswegen, weil ich auf das hinweise, inhaftiert werde, dann ist es eigentlich, wie ich finde, nochmal eine weitere Zuspitzung. (44:59) Es ist eine spirituelle Freiheit, die ich hier genieße und lebe. Also diese Freiheit, mir das Recht rauszunehmen, solche Aktionen zu machen und zu wissen, ich kann mit diesen Aktionen Öffentlichkeitsarbeit machen, ich kann als Mahner auftreten und kann Zusammenhänge aufzeigen. Diese Freiheit, unabhängig, was der Staat mit mir macht, sondern ich halte es für notwendig und mache es. Und diese Freiheit spüre ich sehr, sehr intensiv.

ABMODERATION

Wer Interesse hat, die Haftzeit des Aktivisten Karl Braig zu verfolgen, kann sich in sein ‚Blog‘-Tagebuch einlinken. Er lautet ‚Karl.hamatoma.de‘

149 Zeilen = circa 9‘50‘‘